Ein Grazer Fiaker: Grazbachgasse 43. Teil 2: Kein einfaches Leben

Graz, Grazbachgasse 43, Foto Fez Brook, 2025.

Im ersten Teil – „Ein Grazer Fiaker: Grazbachgasse 43. Teil 1: Wagenschuppen und Hofüberdachung“ – habe ich mich dem Vorhaben Ludwig Puntigams gewidmet, auf seinem Grundstück einen Wagenschuppen zu errichten. In diesem Teil geht es nun vielmehr um das Leben eines Grazer Fiakers, das wohl kein allzu leichtes war.

Erreichbarkeit gegeben

Wie bereits im ersten Artikel beschrieben, erwirbt Ludwig Puntigam aus der Elisabethstraße 5 um das Jahr 1906 das Haus in der Grazbachgasse 43. Im Adressbuch von 1905 wird er in der Berufsgruppe der „Lohnkutscher“ noch unter der Adresse Elisabethstraße geführt. Er ist einer von insgesamt 189 in dieser Berufssparte verzeichneten Personen, die in Zweispänner und Einspänner gegliedert wird.

Wer jedoch glaubt, dass in diesem Gewerbe ausschließlich Männer tätig waren, irrt. In der Liste finden sich nämlich auch 18 Frauenvornamen. Nicht mitgezählt sind dabei Abkürzungen, die sowohl auf männliche als auch weibliche Vornamen hinweisen könnten (z. B. Joh. – Johann/Johanna). Die Grazer Fiakerinnen heißen dabei vor allem Anna (6) oder Maria (5), doch auch jeweils zwei Agnes und zwei Helene sowie je eine Cäcilie, Julie und Aloisia üben diesen Beruf aus.

Ludwig Puntigam ist innerhalb der Berufsgruppe den Zweispännern (vs. Einspänner) zugeordnet. Von den 84 Personen, die einen Zweispänner führen, tragen vier den Vornamen Ludwig. Nur einer von ihnen – Ludwig Puntigam – verfügt jedoch über eine Telefonnummer mit einer leicht merkbaren Zahlenfolge: 576. Insgesamt sind lediglich 15 der 189 Lohnkutscher telefonisch erreichbar. Unter den Zweispänner-Lenkern verfügen zwölf über einen Telefonanschluss. Hinzu kommt eine der genannten Fiakerinnen, konkret Helene Weber (Mariahilferstraße 9), die unter der Telefonnummer 232 erreichbar ist.

Wo sich der konkrete Aufstellungsort von Ludwig Puntigam befand, lässt sich an dieser Stelle nicht beantworten. Grundsätzlich standen die Zweispänner jedoch an folgenden Orten: Beethovenstraße, Elisabethstraße, Freiheitsplatz (früher Franzensplatz), Geidorfplatz, Grabenstraße, Hauptplatz, Jakominiplatz, Kalchberggasse, Maiffredygasse, Südtirolerplatz (früher Murplatz), Europaplatz (Bahnhof, früher Südbahnhof) und Sparbersbachgasse.

Jakominiplatz, Postkarte, Verlag Schneider & Lux, Wien, gelaufen (Datum unleserlich), Sammlung Fez Brook.

Zahlungsunwillige Kundschaft

Ludwig Puntigam war somit zumindest theoretisch telefonisch zu Hause erreichbar. Wie häufig der Fiaker tatsächlich daheim anzutreffen war, bleibt jedoch offen. Es ist allerdings anzunehmen, dass er um 1906 kein Single war. So heiratet ein Fiaker namens Ludwig Puntigam im November 1896 die Schneiderin Juliana Ranz in der Vorstadtpfarre St. Anna am Münzgraben („Grazer Tagblatt“, 20.12.1896). Ein Jahr später wird diesem Fiaker ein Sohn geboren, der auf den Vornamen Johann getauft wird („Grazer Volksblatt“, 07.11.1897).

Leider wird die Mutter des Kindes nicht genannt, weshalb nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden kann, ob es sich dabei um „unseren“ Fiaker handelt. Das Adressbuch von 1900 führt jedoch nur einen einzigen Fiaker namens Ludwig Puntigam, der zu diesem Zeitpunkt in der Annenstraße 51 wohnhaft ist.

Es ist nur zu vermuten, dass das Ehepaar Puntigam zu Hause über die Fahrgäste sprach. Wenn dem so war, dann dürfte Ludwig sicherlich über Frau Pauline Kraupa geschimpft haben. Bei dieser Dame handelte es sich um eine Witwe mit zwei Töchtern – eine nach der Mutter Pauline, die andere Louise genannt. Trotz einer eher bescheidenen Pension begann sie „nach dem Tode ihres Gatten großen Aufwand zu treiben, der sich fort und fort steigerte und schließlich in verschwenderischen Luxus ausartete“ („Grazer Tagblatt“, 05.02.1900).

Graz, Erzherzog-Johann-Allee, Postkarte, Kunstverlag S. Frank, Kartenproduktion 1912, Sammlung Fez Brook.

Sie kaufte Juwelen und Uhren auf Pump und ließ sich zusammen mit ihren Töchtern von Ludwig Puntigam kutschieren, ohne die Fahrtrechnung zu begleichen. Im November 1899 kommt es, wie es kommen musste: Die Telegraphenbeamtenwitwe wird verhaftet, und es kommt zu einem „Hochstaplerinnen-Prozess“. Am Ende wird Pauline Kraupa zu sechs Jahren schweren Kerkers verurteilt, ihre Tochter Louise erhält eine Strafe von 18 Monaten („Grazer Volksblatt“, 08.02.1900). Die jüngere Tochter wird in eine „Siechenanstalt“ nach Hartberg gebracht („Grazer Tagblatt“, 10.08.1900).

Geschäftsschließung

Arbeitswillige können im Juni 1907 lesen, dass ein Stallbursche gesucht wird („Tagespost“, 13.06.1907). Doch offenbar verschlechtert sich die gesundheitliche Situation Ludwig Puntigams im folgenden Jahr. In der „Marburger Zeitung“ von 1908 ist von einem „Gelegenheitskauf“ zu lesen: „Größeres Fiakergeschäft, seit 1855 bestehend, mit Kundenkreis, ist wegen Kränklichkeit preiswürdig zu verkaufen. Durchschnittliche Monatseinnahme 1200 Kronen. Ludwig Puntigam, Grazbachgasse Nr. 43 in Graz“ („Marburger Zeitung“, 04.04.1908).

Auch in der „Villacher Zeitung“ erscheint eine Verkaufsanzeige, in der nicht nur auf den vorhandenen Kundenkreis, sondern auch auf die zentrale Lage des Geschäftes und den guten Bauzustand hingewiesen wird. Angeboten wird das Unternehmen „mit oder ohne Haus“ („Villacher Zeitung“, 07.08.1910). Der Verkaufsprozess zieht sich offenbar bis 1919. Um diese Zeit geht das Geschäft an einen Berufskollegen über, nämlich an Ludwig Trummer, der auch die Liegenschaft Grazbachgasse 43 übernimmt.

Aus dem Adressbuch von 1920 geht hervor, dass Trummer vier Zweispänner mit den Wagennummern 59, 213, 217 und 218 betreibt. In der Rubrik der Lohnkutscher sind zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht mehr 189 Personen verzeichnet sondern nur noch 140. Im Adressbuch von 1925 ist die Zahl der unter der Berufsgruppe „Lohnkutscher“ geführten Personen bereits auf 55 gesunken. Trummer ist weiterhin in der Grazbachgasse 43 tätig, doch die goldenen Zeiten der Fiaker gehen spürbar zu Ende: Pferdekutschen werden zunehmend von anderen Transportmitteln wie Automobilen, der elektrischen Straßenbahn, aber auch von Fahrrädern und Motorrädern verdrängt.

Die Geschichte der Grazbachgasse 43 erzählt damit nicht nur von einem Haus und seinem Fiaker, sondern auch vom leisen Verschwinden eines ganzen Gewerbes im Schatten des technischen Fortschritts.

Graz, Grazbachgasse 43, Foto Fez Brook, 2025.

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Bald kommt:

Ein Grazer Fiaker: Grazbachgasse 43. Teil 3: Der Fall Murath.

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