Mist passiert: Kahngasse 2

Kahngasse 2, Foto Fez Brook, April 2025.

Dieser Artikel widmet sich einem Gebäude, das nicht mehr existiert – und Menschen, die längst verstorben sind, einst jedoch eine gewisse Prominenz genossen. Dabei steht eine Person im Mittelpunkt, die nur indirekt mit dem Haus in Verbindung steht. Vielmehr suchte sie dieses Haus unerlaubterweise auf und entwendete einige Gegenstände, die ihr eigentlich nicht gehörten.

Es geht um eine Ruine in der Kahngasse, auf die ich vor einiger Zeit durch eine Freundin aufmerksam gemacht wurde. Diese Hausüberreste habe ich damals noch fotografiert und so dokumentiert. Bei meinem letzten Spaziergang durch die Kahngasse war von ihnen nichts mehr zu sehen. Frisch aufgeworfene Erde zeugte nur noch von ihrer einstigen Existenz

Ein Antrag, zwei Zimmer und ein Flachdach

Im März 1929 beantragen Aloisia und Johann Lampl einen Zubau an ihr Wohnhaus. Die entsprechenden Pläne erstellt Ing. V. Teppner, Bürgergasse 2. Am Dienstag, dem 9. April 1929, findet vor Ort eine Augenscheinverhandlung statt, bei der die Pläne für den Zubau im Detail besprochen werden.

Eine von ChatGPT generierte Skizze, die sich an einer Originalvorlage orientiert.

Das Ehepaar Lampl plant einen ebenerdigen Anbau an der Ostseite des Hauses. Aus den Unterlagen geht hervor, dass dieser nicht unterkellert wird. „Die Dacheindeckung wird als Flachdach mit Presskies ausgeführt. Der Zubau wird mit den bestehenden Wohnräumen des Hauses in Verbindung gebracht und 2 Zimmer enthalten“, heißt es in den Dokumenten.

An der Augenscheinverhandlung nimmt auch der Amtsarzt Dr. Leyacker teil, der dem Radiopublikum jener Zeit möglicherweise bekannt ist. Am 27. Juli 1925 spricht er zwischen 18:00 und 18:30 Uhr im „Radio Graz (Welle 404)“ über „Die Tollwuterkrankung beim Menschen und deren Verhütung“. (Radio Wien, 26.07.1925)

Aus den weiteren Bauakten im Stadtarchiv Graz geht hervor, dass als Bauführer der Stadtbaumeister Karl Dengg, Neubaugasse 84, eingesetzt ist. Das Haus wird im September bereits „in allen seinen Teilen baulich vollendet“.

Kahngasse 2, Foto Fez Brook, April 2025.

Mist passiert

Kommen wir zu Aloisia und Johann Lampl zurück. Aus den Bauakten geht nicht viel über sie hervor, doch Zeitungen aus jener Zeit verraten ein wenig mehr. Immer wieder taucht der Nachname Lampl in Verbindung mit der Adresse Kahngasse auf.

Feldarbeit, ein mit ChatGPT erstelltes Fantasiebild.

Ein Herr Lampl aus der Kahngasse – vielleicht unser Hausbauer oder möglicherweise sein Vater – wird Opfer eines Diebstahls. So berichtet das Grazer Volksblatt im August 1908 über Obstdiebe, die auch in der Nachbarschaft ihr Unwesen treiben. Dabei geht es nicht einfach um den Diebstahl einiger Äpfel oder Birnen: Drei Mitglieder der Bande waren „mit Revolvern bewaffnet, während die übrigen Zaunlatten bei sich trugen, um bei allfälliger Anhaltung durch die Geschädigten gegen dieselben vorzugehen“ (Grazer Volksblatt, 06.08.1908). Die Täter – junge Burschen im Alter zwischen 15 und 19 Jahren – werden schließlich ausgeforscht. Mist passiert, aber die Lampls haben irgendwie Glück. Sie werden von den schwerbewaffneten Burschen nicht verletzt. 

Die Anzeige deutet zugleich an, dass die Familie Lampl bei ihrem Haus eine kleine Wirtschaft betreibt. Offenbar bauen sie Obst an, halten Schweine – oder beginnen zumindest später damit. Denn zwanzig Jahre später werden in der Kahngasse Ferkel durch die Lampls zum Verkauf angeboten.

Zwei Jahre darauf werden sie erneut in der Zeitung erwähnt. Diesmal geht es jedoch nicht um Ferkel. Vielmehr werden sie wieder Opfer eines Verbrechens. Der „Arbeiterwille“ berichtet im September 1930, dass bei ihnen eingebrochen wird, während sie sich auf dem Feld befinden. Einige Tage später schreibt auch das „Grazer Volksblatt“ und der „Grazer Tagblatt“ über den Vorfall und bezeichnen den Herrn Lampl – ein Vorname wird nicht genannt – als Lederarbeiter.

Kahngasse 2, Foto Fez Brook, April 2025.

Eine zweifelhafte Prominenz

Der Einbrecher bei den Lampls ist ein gewisser Martin Sehrschön, der bereits einschlägig bekannt ist. Schon als 17-Jähriger hat er mehrere Straftaten auf dem Konto. Er bricht in zwei Häuser in Wetzelsdorf am helllichten Tag ein, während die Hausleute auf dem Feld arbeiten. Dabei entwendet er keinen Schmuck, sondern lediglich Bargeld, das später bei ihm gefunden wird.

Ein mit ChatGPT erstelltes Fantasiebild des Burschen Martin Sehrschön.

Beim Einbruch bei den Lampls folgt Sehrschön einem ähnlichen Muster. Die Eheleute sind gerade auf dem Feld. Vielleicht kommt der Bursche zufällig am Haus vorbei, vielleicht beobachtet er es einige Tage. Fest steht: Eigentlich hätte er woanders sein müssen, nämlich in der Zwangsarbeitsanstalt in Messendorf, aus der er jedoch geflohen ist. Seitdem treibt er sich in der Umgebung von Graz umher, wie das „Grazer Tagblatt“ am 15. Oktober 1930 berichtet.

Bei seiner Festnahme trägt Sehrschön einen neuen Anzug und einen Überzieher. Ursprünglich ist er aus Messendorf in den Arbeitskleidern der Anstalt geflohen. Die neue Kleidung und die Tatsache, dass er in der Gegend bereits bekannt ist, lassen ihn schnell als Verdächtigen für den Einbruch in der Kahngasse erscheinen. Zwei Kriminalbeamte können ihn schließlich bald fassen.

Bei seiner Vernehmung gesteht er den Einbruch bei Familie Lampl sowie weitere Taten, wie das „Grazer Volksblatt“ am 18. Oktober berichtet. Wie es anschließend für ihn weitergeht, ist nicht bekannt. Ein angenehmer Zeitgenosse ist er jedenfalls nicht: In allen seinen Haftanstalten fällt er negativ auf. Sehrschön gilt als „ein sehr gewalttätiger Häftling“, der regelmäßig gegen die Hausordnung verstößt. „In der Männerstrafanstalt Karlau zündet er einmal sogar den Strohsack und die Zellentür an, um sich dadurch eine Ausbruchsmöglichkeit zu verschaffen.“ (Grazer Volksblatt, 18.10.1930)

Strafanstalt Karlau, Postkarte, 09.08.1911 (Kartenproduktion), Sammlung GrazMuseum

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