Raubmörder Kaiser. Teil I.: Der Täter

„Die gräßlichen Morde in der südlichen Steiermark, welche lange Zeit alle Gemüter in große Aufregung versetzten, beschäftigen nun das Schwurgericht. Wohl seit sehr vielen Jahren saß kein so schwer beschuldigter Bösewicht, kein so gräßlich entarteter Mensch auf der Anklagebank, um sich wegen der fürchterlichsten Verbrechen, die es geben kann, zu verantworten. Der nun 33jährige ehemalige Keuschler und spätere Tagelöhner Johann [Zeitungsfehler, da der Täter Josef heißt] Kaiser ist, obwohl ein Mensch, der Menschen aus niederer Habsucht ermordet, rätselhaft sein sollte, kein Rätsel, sondern bloß ein verabscheuungswürdiges Objekt entsetzten Staunens. Ein Produkt der Erziehungslosigkeit, des Elends, der Stumpfsinnigkeit, in der alle menschlichen Regungen für sich und die anderen erstickten und nur der niedere tierische Charakter zur Entwicklung gelangte. Er hat nicht aus Not gemordet, wenn er auch im Elend steckte, denn aus Not mordet man nicht, wohl aber war es die Not, das geistige und leibliche Elend von vielleicht mehr als einer Generation, was den Menschen in ihm erstickte, so daß er reif zur Mörder geworden ist und jetzt, da ihm die scheußlichen Verbrechen vorgehalten werden, da ihm die schwerste Strafe droht, sitzt er auf der Anklagebank und – lacht, lächelt in der widerlichsten Weise, so daß ihm der Vorsitzende oft empört zur Rede stellt. Aber umsonst, bei der Erzählung der blutigsten Details seiner Schandtaten lacht er mit breitem Grinsen.“ („Arbeiterwille“, 17.01.1912, S. 7.)

Mit dieser Täterbeschreibung beginnt die sozialdemokratische Zeitung „Arbeiterwille“ ihre Berichterstattung vom Prozess Josef Kaisers im Jahr 1912. Das Schwurgericht tagt in Graz im Landesgericht in der Jakominigasse – zu diesem Zeitpunkt ist die Adresse noch nicht die Conrad-von-Hötzendorfstraße und die Jakoministraße noch eine Gasse. (Mehr dazu: Einst & Jetzt: Jakoministraße.) Der Prozess beginnt am 16. Jänner. Eine detaillierte Berichterstattung findet in der „Kleinen Zeitung“, „Grazer Volksblatt“, „Grazer Tagblatt“ und eben dem zitierten „Arbeiterwille“ statt. Doch was war geschehen?

Drei Taten

Am 18. August 1911 um 16:00 Uhr trifft der 32-jährige Knecht Georg Musger in Eichberg-Trautenburg, in der Nähe von Sankt Johann im Saggautal, auf einen ihm unbekannten Mann. Musger ist auf dem Weg nach Gündorf, wo er bei dem Bauer Josef Sgarz, vulgo Stegannerk, eine Kuh kaufen will. Der Unbekannte begleitet ihn zum Kauf. In Gündorf redet er Musger die Erwerbung der Kuh aus. Der Unbekannte flüstert dem Knecht ein, dass die Kuh krank sei. Auf dem Rückweg raubt er Musger aus und flieht mit der Beute. Musger überlebt und meldet den Vorfall der Polizei.

In der Nacht vom 10. auf den 11. November 1911 wird wiederum der 40-jährige Peter Zitz auf der Bezirksstraße zwischen Heimschuh und Großklein ermordet. Das Opfer ist ein Krämer und Schweinehändler aus Saggau. Er ist verheiratet und hat fünf Kinder. Am 09. November fährt er nach Graz zum Viehmarkt, um geschlachtete Schweine und ein Kalb zu verkaufen. Wie üblich übernachtet er am Griesplatz im Gasthof „Zum Schwarzen Adler“. Am Freitag, den Folgetag, trifft er in der Früh auf einen Bekannten. Da Zitz schwerhörig ist, bittet er diesen, ihn auf dem Rückweg zu begleiten. Der Schweinehändler möchte in der Nacht nicht allein unterwegs sein. Er wird die Nacht nicht überleben.

Peter Zitz fährt regelmäßig zum Viehmarkt nach Graz. Üblicherweise übernachtet er am Griesplatz im Gasthof „Zum Schwarzen Adler“. Postkarte, Griesplatz-Rösselmühlgasse, ca. 1895–1905, Sammlung GrazMuseum.

Bereits am 24. Jänner 1911 wird der 38 Jahre alte Rauchfangkehrmeister Josef Happich aus Straßgang unweit des Gasthauses „Zum Spitzwirt“ in Spatenhof bei Lieboch ermordet. Der Verdacht fällt auf zwei bäuerlich aussehende Burschen, die im Gasthaus von Blasius Löschnitzer in Dobl am einen Tisch mit Josef Happich gesessen sind. Sie verlassen kurz vor dem Rauchfangkehrmeister das Gasthaus. Happich bricht um 19:00 Uhr zum Bahnhof in Lieboch auf, wo er jedoch nie ankommt. Dieser Raubmord bleibt lange Zeit ungeklärt. Erst durch die Ermittlungen der anderen zwei Taten fällt der Verdacht auf Josef Kaiser. Die grausame Ermordung von Peter Zitz mit einem Messer führt zu der Schlussfolgerung, dass der Täter von Zitz auch einer der Mörder von Josef Happich sein könnte. Auch dem Rauchfangkehrmeister sind eine Unzahl von Stichwunden zugefügt worden, die zu seinem Tod geführt haben.

Der Angeklagte

Nach dem Mord von Josef Happich wird lange kein Täter gefunden. Bild mit einer KI von deepai.org erstellt und zusätzlich bearbeitet, Sammlung Fez Brook.

Die detailreichste Zusammenfassung zur Person Josef Kaiser konnten die an dem Fall interessierten Leserinnen und Leser in der „Kleinen Zeitung“ erfahren. Doch auch in den anderen Zeitungen waren unterschiedliche Details zur Person des Angeklagten und seiner Familie zu lesen. Daraus ergibt sich folgendes Bild:

Josef Kaiser wird am 29. Dezember 1878 in Graz geboren. Es wird erwähnt, dass er ein uneheliches Kind sei. Bis zu seinem 20. Lebensjahr arbeitet er für den Bauer Zehrer in Lannach, der immer wieder als sein Stiefvater bezeichnet wird. In Lannach – unklar ob auf dem Bauernhof von Zehrer – lebt auch seine Mutter. Darauf folgt sein Militärdienst bei den Dragonern; zuerst in Maribor, dann in Wiener Neustadt. Nach diesem verklagt er erfolgreich den Bauer Zehrer wegen Lohnforderungen. 1908 heiratet Josef Kaiser eine Johanna Schwendner. Er lernt seine Frau im Oktober 1907 bei einer Arbeitsstelle als Knecht kennen. Sie bringt in die Ehe zwei uneheliche Kinder. Gemeinsam mit Josef hat sie drei weitere Kinder, wobei eines von diesen im Kindesalter stirbt. Zumindest zwei der Kinder sind Mädchen. Eines der Mädchen wird „Pepi“ genannt. Das letzte Kind kommt am 06.12.1911 zur Welt, da ist Josef Kaiser bereits in Haft.

Vor seiner unfreiwilligen Stationierung in Haft ist Kaiser recht mobil. Er ist v. a. in der Südsteiermark unterwegs, wobei er immer wieder nach Graz kommt. Er reist dabei mit der Bahn, Pferdefuhrwerken oder geht zu Fuß. Sein Wohnort ändert sich mehrfach. Zwischenzeitlich wohnt er mit seiner Familie in Freidorf (an der Laßnitz) bei Deutschlandsberg. Es ist die Zeit der Ermordung von Josef Happich. Kaiser arbeitet zu diesem Zeitpunkt in der Strohpapierfabrik Rathausky in Hörbing. Bei seiner Verhaftung wohnt er wieder in Sausal. Als Wohnadresse wird die „Teislschusterkeusche in Hillersberg, Gemeinde Pistorf, zwischen Sausal und Freising“ angegeben. („Grazer Volksblatt“, Abendausgabe, 16.01.1912, S. 3.) Gemeint ist wohl Hollerberg – im „Arbeiterwille“ als Wohnort von Kaiser genannt –, unweit der Ortschaft Hollerbach.

Zeitweise arbeitet Josef Kaiser in der Papierfabrik in Hörbing und wohnt in Freidorf. Landesaufnahme der österreichisch-ungarischen Monarchie. Blatt D.Landsberg und Wolfsberg, ca. 1895, Sammlung Wikipedia.

Besondere Aufmerksamkeit wird in der Presse seinem Äußeren gegeben. Die Leserschaft ist daran interessiert, wie ein Bösewicht, ein Raubmörder wie Josef Kaiser, aussehe. Dabei fällt seine Beschreibung im „Grazer Tagblatt“ vom 16. Jänner 1912 sehr nüchtern aus: „Kaiser ist ein kleiner Mensch von schwächlichem Aussehen. Sein Gesicht zeigt auffallende Blässe. Während der Haft ist ihm ein Vollbart gewachsen.“ Sein Bartwuchs wird im Prozess, v. a. bei der Schuldfrage am Raubmord von Josef Happich, eine wichtige Rolle spielen. Zu seiner Identifizierung trägt wiederum auch ein kleiner Schönheitsfehler bei: Passend zu einem Mörder kann Kaiser eine Narbe vorweisen. Als besonders auffallend werden in der „Kleinen Zeitung“ die langen Arme und die großen Hände des Angeklagten beschrieben. Über diese Besonderheit ist auch in der Zeitung der „Arbeiterwille“ zu lesen: „Kaiser ist ein bäuerlich aussehender, kleinerer, untersetzter Mensch mit gewöhnlichen Gesichtsausdruck. Auffallend an ihm sind die außerordentlich langen Arme und die breiten Hände, die schwerfällig herumbaumeln.“ („Arbeiterwille“, 17.01.1912, S. 7.) Passend zu diesem Bild wird auch seine Frau beschrieben, die in der gleichen Ausgabe als „ein älteres, verhärmtes Weibchen“ bezeichnet wird.

Josef Kaiser wohnt mit seiner Familie in der Teislschusterkeusche in Hillersberg – gemeint ist wohl Hollerberg? – , Gemeinde Pistorf, zwischen Sausal und Freising. Karte „Wildon und Leibnitz, Franzisko-josephinische Landesaufnahme ca. 1895, Ergänzungen bis 1914“, Sammlung Wikipedia.

Teil II.: Raubmörder Kaiser. Das Öffentlichkeitsinteresse

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