Bereits im August vor zwei Jahren fand die Wiedereröffnung des Dorotheums am Jakominiplatz statt. Einst war es als das „Englische Haus“ bekannt, wurde aber in den 1950er-Jahren zum Dorotheum. Seit 2022 teilt sich das Dorotheum wiederum mit dem Hotel „Motel One“ das Gebäude. Möglicherweise wird in der Zukunft weniger vom Dorotheum als vielmehr von dem Motel am Jako gesprochen. Die Bezeichnung „Englisches Haus“ ist schließlich auch nur noch eine verblasste Erinnerung.
Ein Blick zurück
Den Bau des „Englischen Hauses“ gab Emil Kraft in Auftrag. Der am 26. Jänner 1865 in Wien geborene Auftraggeber war eine vielseitig interessierte und beschäftigte Person. So gründete er 1892 ein Trabrennverein in Baden. Bis 1923 war er in unterschiedlichen politischen Ämtern tätig und schrieb zusätzlich Artikel zu wirtschaftlichen Fragen. Das Kaufmännische lag ihm im Blut. Schließlich waren bereits seine Großväter im Handel und sein kurz nach seiner Geburt verstorbener Vater tätig. Und auch seine Mutter war wirtschaftlich aktiv: So betrieb sie zuerst als Witwe in Wien ein Kurzwarengeschäft. 1868 kaufte sie ein Haus in Baden, wo sie ebenfalls ein Kurzwarengeschäft einrichtete. Sie heiratete erneut, blieb aber wirtschaftlich stets aktiv.
Das Geschäftsleben war Emil Kraft somit nicht unbekannt. Doch auch landwirtschaftlich war er interessiert. Er legte eine Lehramtsprüfung für Acker-, Obst- und Weinbauschulen ab und arbeitete kurz als ein Gutsverwalter in der Steiermark (Gonobitz/Slovenske Konjice). Nach dem Tod seiner Mutter übernahm er mit seinem Bruder das Familiengeschäft in Baden. Im Jahr 1891, einen Tag vor seinem Geburtstag, heiratete Emil Kraft Gabriele Bendele, deren Familie regelmäßig als Kurgäste in Baden weilte. Ein wirtschaftlicher Aufstieg der Familie begann in dieser Zeit. Es wurden Filialen in Meran, Sankt Moriz-Bad und Zürich eröffnet.
„Zum großen Barometer“
Das „Englische Haus“ wurde im Oktober 1908 eröffnet. Zuerst hatte es noch nicht die heutige Größe. Vielmehr stand es an der Ecke Opernring und Jakominiplatz, wobei sich der größere Teil des Kaufhauses auf der Opernring-Seite befand. Für den Bau wurde ein anderes Haus abgerissen, das als „Zum großen Barometer“ bekannt war. Für diesen Vorgängerbau sind bis ins 18. Jahrhundert Zeitungsartikel zu finden. So wurde 1795 „ein lüftiger, trockner und gesunder Keller“ in diesem Haus in der Grazer Zeitung angeboten, fast vierzig Jahre später empfahl sich ein unter der Adresse wohnhaftes und „in der Stimmkunst erfahrenes Individuum“ zur Stimmung eines Klaviers in der gleichnamigen Zeitung, 1862 war in dem Haus die Kanzlei von Alois Raab ansässig, 1870 ein Bekleidungsgeschäft von Josef Stehno und bis 1876 auch das Möbellager von Leopold Krenn, das im März dieses Jahres ausgelassen wurde, wie die Leserinnen und Leser des Grazer Volksblatt erfuhren. Danach war unter dieser Adresse ein Farbengeschäft von Barbara Cieron zu finden.
Bevor das „Englische Haus“ gebaut wurde, hatte Emil Kraft seit 1898 ein Sport- und Modegeschäft zuerst am Karl-Ludwig-Ring (heute Opernring), ab Mitte 1899 am Bismarckplatz (heute am Eisernen Tor). Die Mode richtete sich an Männer und Knaben mit einer besonderen Ausrichtung auf Radfahrer und Touristen. Im Oktober 1904 kommt dazu das „Österreichisch-Amerikanische-Schuhwarenhaus“ in der Herrengasse 1. Amerikanische Schuhmode war im Sortiment: ein bisschen New York in Graz.
Wann er sich für den Bau des „Englischen Hauses“ entschlossen hat, ist unklar. Vielleicht eröffnete sich ihm diese Möglichkeit durch einen Brand in der Nachbarschaft. Denn das oben beschriebene Haus „Zum großen Barometer“ wurde durch ein Feuer beschädigt. Das Unglück ereignete sich im September 1906 in dem Farbwarengeschäft von Barbara Cieron. Eigentlich wollte sich die Dame eine Jause auf einer Spiritusflamme vorbereiten. Sie hatte Glück im Unglück, denn ein wachsamer Friseur im Nachbarhaus konnte sie aus den Flamen retten und die Feuerwehr rufen. Der Schaden war jedenfalls beträchtlich.
Ein Jahr später wurde auf dem Grundstück des Hauses der Bau des Warengeschäftes von Emil Kraft und Josef Zahradnik (ein Teilhaber), wie es im Grazer Volksblatt von 1907 heißt, bewilligt. Das Haus „Zum großen Barometer“ wurde abgerissen. Verwertbares aus dem Haus wurde noch vor dem Abriss zum Verkauf angeboten: Fenster, Türen, Öfen, Fußböden, Stiegenstufen und Mauerziegeln. Wiederverwertung war definitiv ein Thema.
Ein Name als Programm
Das „Englische Haus“ erlebte bereits mehrere Eröffnungen in seiner Geschichte. Die erste erfolgte im Oktober 1908, da wurde das neue Modegeschäft an der Stelle des Hauses „Zum großen Barometer“ eröffnet.
Im Grazer Tagblatt vom 04. Oktober wurde der neue Warentempel den neugierigen Lesern vorgestellt. Auch Leserinnen lasen wohl den Artikel; die Modewaren des „Englischen Hauses“ richtete sich jedoch nicht an sie. Denn nach „dem englischen Vorbilde der Outfitter (Ausstatter) dient das ganze Haus einem Spezialzwecke, d.h. der Herren- und Knaben-Ausstattung für Straße, Salon, Mode und Sport. Jeglicher Gegenstand, den ein Herr braucht, um sich zu kleiden, vom Hute angefangen bis zum Schuh, von der kleinsten Krawatte bis zum dichten Pelzmantel, ist alles dort zu finden“, so im Tagblatt. Dabei konnte der kauflustige Mann – oder eine Frau, die ihren Mann oder Sohn ordentlich anzukleiden beabsichtigte – in einer eigenen Abteilung auch „original englische Artikel“ erwerben.
Der Name des Geschäftes war somit Programm. Als Vorbild für das neuste Geschäft dienten den Besitzern die Ausstattungsgeschäfte des „Inselreiches“. Damit jede Grazerin und jeder Grazer es weiß, sendete das „Englische Haus“ „abends seine Strahlen in elektrisch beleuchteten Schriftzeichen in die finstere Nacht“.
Sehenswert: Ein Aufzug und elektrisches Licht
Im Grazer Tagblatt vom 04. Oktober 1908 wurde detailliert auch der Aufbau des Gebäudes beschrieben:
„Der Bau besteht aus folgenden Geschoßen: Souterrain, Parterre und drei Stockwerken, sowie Dachräumen, die alle ausnahmslos Geschäftszwecken dienen. Drei Treppen verbinden die einzelnen Geschoße und zwar eine große Freitreppe mit Holzbelag, vom Souterrain beginnend bis in das dritte Stockwerk führend. Ein gleiche Treppe, aus Kunststein führt vom Keller bis in das Dachgeschoß und endlich eine dritte eiserne Wendeltreppe vom dritten Stockwerke in die Arbeitsräume des Dachgeschoßes. Ein Personen- und Waren-Aufzug dient zur schnellen Beförderung der Kunden sowie der Waren. Der Aufzug wird elektrisch betrieben. Im Souterrain befinden sich: die Niederdruck-Dampfheizung, das Kohlenlager, sowie der Kistenraum; alle diese Räume sind von den übrigen Magazinräumen des Souterrain feuersicher getrennt. Im Parterre, ersten, zweiten, und dritten Stock sind Verkaufsräume. Ebenso sind Ankleideräume für Herren vorgesehen. Im Dachstocke ist je ein Zimmer für die beiden Chefs, eine Kanzlei, ein Buchhaltungszimmer, ein Versandsaal, ein großer Werkstättensaal sowie ein großer Manipulationsraum, untergebracht. Gegen Feuersgefahr ist durch die weitgehendsten Vorsichtsmaßregeln Vorsorge getroffen. Den strengsten Anforderungen der Branddirektion wurde vollständig entsprochen. Für die Beleuchtung sorgt das elektrische Licht in ausgezeichneter Weise.“
Eine Besonderheit stellte das verwendete Material dar. Das Haus wurde aus Eisenbeton gebaut. Das ermöglichte eine schlanke Fassadengliederung und weite Fensteröffnungen. Die Fenster waren eine Attraktion, v.a. in der Nacht, als das elektrische Licht durch sie nach Draußen drang.
Ein Stararchitekt als Planer
Für das Warenhaus, das in der Nacht an ein „Märchenschloß“ erinnerte – so jedenfalls in dem Grazer Tagblatt –, war der Architekt Leopold Theyer (1851–1937) verantwortlich. Er war „der am Ende des 19. Jahrhunderts wohl meistbeschäftigte Architekt in Graz.“* Zu den bekanntesten durch ihn geplanten Bauten zählen u.a. mit Friedrich Sigmundt (1856–1917) das Akademische Gymnasium (1888–89) am Tummelplatz und das Gebäude der Grazer Wechselseitigen in der Herrengasse 18–20 (1893–95), die späthistoristischen Fassaden im Stil der Neogotik des städtischen Amtshauses in der Schmiedgasse 26 (1902–1904) oder die Vergrößerung des Stephaniensaales mit der Errichtung des repräsentativen Stiegenhauses mit Glaskuppel (1905–1908).
Kurz vor dem Bau des „Englischen Hauses“ plante Leopold Theyer ein Haus für den Tuchwarenhändler Simon Rendi am Joanneumring 5. Der Neubau von Theyer begeisterte wohl Emil Kraft. Deswegen engagierte er den Architekten für sein neues Projekt. Das „Englische Haus“ war jedoch nicht ganz typisch für Theyers Stil, denn eigentlich war er ein Anhänger des Historismus. Dieses Warenhaus ist jedoch eher der Moderne zuzurechnen, die allerdings Empiremotive nutzt.
Mit der Eröffnung des „Englischen Hauses“ wurde jedenfalls Graz um eine Attraktion reicher. Damit endete jedoch nicht die Geschichte des „Englischen Hauses“.
Aus rechtlichen Gründen können auf dieser Blogseite nicht alle Fotos gezeigt werden, die die Errichtung des „Englischen Hauses“ zeigen. Auf der folgenden Seite sind diese aber zu sehen – Jakominiplatz 8.
Hier geht es zum Teil II.: Das „Englische Haus“ im neuen (alten) Glanz
Literatur: