Raubmörder Kaiser. Teil III.: Der Prozess

Im ersten Teil der Geschichte über den Raubmörder Josef Kaiser wird der Angeklagte vorgestellt: Der bäuerlich aussehende Kaiser, mit den über die Knie reichenden Armen, deren Beschreibung an einen Affen erinnert. Er wird in das Landesgericht von Graz wegen eines Raubes und zwei Raubmorde gebracht, die im Laufe des Jahres 1911 geschehen. Das weckt das öffentliche Interesse. In den Zeitungen wird detailliert über den Raubmörder berichtet. Der zweite Teil der Geschichte beschreibt dieses Öffentlichkeitsinteresse. In diesem Teil geht es wiederum um den Prozess selbst.

Prozesspublikum

Landesgericht, Postkarte, ca. 1905–1910, Sammlung GrazMuseum

Vom Publikumsinteresse am Prozess um den Raubmörder Kaiser berichtet das „Grazer Tagblatt“ vom 17. Jänner 1912: „Zu der Verhandlung herrscht ein riesiger Andrang. Da der Eintritt nur gegen Karten gestattet ist, diese aber schon Dienstag voriger Woche ausgegeben worden waren, mußten viele Neugierige wieder zurückgewiesen werden. Auf der ersten Bank im Zuschauerraume haben fünfzehn Gandermerie-Chargenschüler Platz genommen. Die übrigen Bänke sind vom Publikum dicht besetzt, meistens von Damen. Vor der Geschworenenbank steht ein Tisch, vollbeladen mit corpora delicti. Hinter dem Richtertische hängen zwei Tafeln, die in farbiger Ausführung die Pläne der zwei Raubmorde darstellen.“

Der Gerichtssaal wird Bühne für ein Schauspiel der Beweisführung. Im gewissen Sinne ist der Oberlandesgerichtsrat Dr. Otto Rittler als Vorsitzender der Dirigent dieses Aufführungsstückes. Dazu kommen die zwei Anwälte, die sich gegenüberstehen: Der Verteidiger Dr. Johann Terstenjak und der Staatsanwalt Dr. Erwein Höppler von Hermingen. Dazwischen befinden sich der Angeklagte sowie die 72 persönlich geladenen Zeugen und Zeuginnen, die immer wieder nach vorne zur Befragung hervortreten. (Josef Kaiser ist freilich immer in Begleitung von zwei Aufsehern.)Auf sie richten sich nicht nur die Blicke des Publikums, sondern auch die der zwölf Geschworenen. Zu diesen ausgelosten Männern aus Graz, Rohr bei Hartberg, Heimschuh, Peggau, Feldbach, Köflach kommen noch zwei Ersatzgeschworene für den Fall von Krankheit. Die Schar an Personen ergänzen mit ihrem Fachwissen die Gerichtsärzte Dr. Karl Kautzner und Dr. Hermann Pfeiffer.

Der Prozess – eine Schwurgerichtsverhandlung – findet zwischen dem 17. und 19. Jänner 1912 statt. Zur Ausraubung von Musger und dem Raubmord an Happich und Zitz wird immer wieder der Angeklagte vernommen. Das Stimmungsbarometer bewegt sich zwischen Spannung und Heiterkeit. Dazu tragen die Aussagen der Zeuginnen und Zeugen bei. Maßlose Spannung entsteht vor allem beim Verhör des Angeklagten oder als seine Ehefrau den Gerichtssaal zu ihrer Vernehmung betritt: „Bei [Frau Kaisers] Erscheinen ging eine Bewegung durch den Zuhörerraum, daß der Präsident zur Ruhe mahnen mußte.“ („Arbeiterwille“, 17.01.1912, S. 9.) Eine spürbare Spannung entsteht ebenfalls, als Kaiser berichtet, wie er Peter Zitz ermordet hatte: „„[…] Wie dann die Rauferei sich abgewickelt hat, weiß ich nicht. Zugestochen habe ich oft!“ (Große Bewegung im Publikum.)“ („Grazer Volksblatt“, 17.01.1912, S. 7.) Eine Aussage, die auch in der „Kleinen Zeitung“ fett gedruckt wird.

Aus „Grazer Tagblatt“: „[Johanna Kaiser] ist eine stille Frau. Sie trägt Kopf- und Umhängetuch.“ Bild mit einer KI von deepai.org erstellt und zusätzlich bearbeitet, Sammlung Fez Brook.

Für einige Lacher während des Prozesses sorgt die Zeugin Cäcilia Scherübl. Nach der Frage, welche Bartlänge Josef Kaiser zur Tatzeit des Raubmordes an Josef Happich hatte, erwidert sie, dass dieser so gewesen sei, wie der Bart des Vorsitzenden Dr. Otto Rittler. Zusätzlich belustigt die resolute Dame das Publikum, als sie auf ihre Widersprüche in ihrer Aussage durch den Verteidiger hingewiesen wird: „„Wann Ihnen das nicht recht ist, kann ich nichts machen.“ (Schallende Heiterkeit.)“ („Grazer Volksblatt“, 18.01.1912, S. 8.) Wohl zur Erheiterung des Lesepublikums werden ihre Aussagen teilweise auch in den anderen Zeitungen veröffentlicht.

Widersprüchliche Aussagen

Bei zwei seiner Taten ist nicht viel zu leugnen für den Angeklagten. Zur Ermordung von Peter Zitz in der Nacht vom 10. auf den 11. November 1911 kann die Zeugin Lina Maihuber entscheidende Hinweise liefern. Sie kennt schon länger Peter Zitz, der ihr immer wieder Lebensmittel von ihrer in St. Johann als Wirtschafterin arbeitenden Schwester mitbringt. Diesmal ist es ein Säckchen Mehl, das ihr Kaiser auf die Bitte von Zitz zur Haltestelle der Tram am Griesplatz trägt. Dabei erzählt er, wie er heiße und aus welcher Gegend er komme. Daraufhin werden einige Männer aus dem Bezirk Arnfels mit dem Namen Kaiser befragt. Drei Träger dieses Namens haben jedoch ein Alibi. So fällt der Verdacht auf Josef Kaiser, wobei bei der Durchsuchung seines Hauses zusätzlich belastendes Material gefunden wird: blutige Kleidungsstücke und das geraubte Geld.

Aus „Grazer Volksblatt“: „Ungefähr eineinhalb Kilometer vor Groß-Klein, in der Ortschaft Nistelberg wohnt in einem alleinstehenden Hause die Steinmetzmeisterin Karoline Preschern. Am Samstag morgen um 3 Uhr hörte sie aus einer Entfernung von beiläufig 200 Schritten vor ihrem Hause zweimal hintereinander einen langgezogenen Schrei. Dies war der letzte Laut, den der unglückliche Peter Zitz, unter der Mörderhand verblutend, von sich gab.“

Unter den Fundsachen wird bei der Hausdurchsuchung am 16. November 1911 ebenfalls ein gefälschter Bettlerbrief für Abbrandler entdeckt. Das ist die Spur, die zum Raub am 18. August 1911 an Georg Musger führt. Nachdem das Opfer den Täter bei einer Gegenüberstellung beim Untersuchungsrichter in Arnfels erkennt, gesteht Kaiser auch diese Tat. Vor dem Landesgericht in Graz bestätigt Kaiser nochmals seine Aussage. Als Grund gibt er seine finanzielle Not an: „[…] Er sei infolge des fortwährenden „Sinnierens“ auf dem Heimwege, daß er mit dem Gelde des Zitz auf einmal von aller Not befreit werden könnte, ganz „irrsinnig“ geworden.“ Auch beim Raub von Musger argumentiert er ähnlich: „Ich habe daran gedacht, daß die Leut z‘ Haus nichts zum Essen haben, und da is mir der Einfall kommen.“ („Arbeiterwille“, 17.01.1912, S. 7 und S. 8.)

Den Raubmord an Josef Happich gibt Josef Kaiser nicht zu. Zur Erinnerung: Josef Happich ist ein 38-jähriger Rauchfangkehrmeister aus Strassgang. Er wird am 24. Jänner 1911 ermordet. Als Täter werden zwei Burschen verdächtigt, die im Gasthaus von Löschnitzer in Dobl am gleichen Tisch saßen. Sie haben auch gesehen, dass Happich eine größere Geldsumme bei sich hatte, da er an diesem Tag in der Umgebung seine Jahresrechnungen einkassierte. Er bricht ca. um 19:00 Uhr zum Bahnhof nach Lieboch auf, da er mit dem Zug nach Straßgang fahren möchte. Um ca. 21:00 Uhr wird er von dem Viehhändler Johann Walter aus Obergralla bei Leibnitz tot aufgefunden.

Aus „Grazer Tagblatt“: „Dr. Kautzner berichtet: Zitz ist an Verblutung gestorben; sie wurde hervorgerufen durch zwölf Stiche und Schnitte, die von den vierzig, die gegen das Opfer geführt wurden, die Kleider durchdrangen und den Körper erreichten.“ Bild mit einer KI von deepai.org erstellt und zusätzlich bearbeitet, Sammlung Fez Brook.

Unterschiedliche Zeuginnen und Zeugen sagen aus, dass Kaiser einer der Burschen im Gasthaus Löschnitzer gewesen sei. Die Aussagen sind jedoch teilweise widersprüchlich, worauf der Verteidiger Dr. Terstenjak wiederholt verweist. Vor allem wundert sich der Verteidiger immer wieder, dass vor dem Untersuchungsrichter in Arnfels die Aussagen teilweise anders ausgefallen sind. Ein Jahr später sind die Erinnerungen wiederum ganz klar. So berichtet Alexander Halfar, Uhrmacher in Graz, dass Kaiser wegen Umtausches einer Uhr (Beute aus dem Raubmord an Happich) zu ihm ins Geschäft gekommen sei. Josef Kaiser kommt ihm gleich verdächtig vor. Er erkennt ihn auch auf einer Fotografie im Verbrecheralbum der Polizei. Dem widerspricht der Detektiv Anton Jöbstl, der meint, dass Halfar zur Erstvernehmung niemanden erkannt und dass damals auch kein Foto von Josef Kaiser existiert habe. Eine solche Fotografie hat auch nicht der Untersuchungsrichter in Arnfels. Das verursacht im Publikum Sensation, Heiterkeit und Bewegung.

Doch auch Kaiserverwickelt sich in Widersprüche. So kann er nicht glaubhaft angeben, wo er sich zum Zeitpunkt des Raubmordes an Josef Happich befand. Auch kann er keine überzeugende Erklärung abgeben für die Wunden, die er zu dieser Zeit hatte und die eine Vielzahl von Personen bezeugt. Der angeblich zweite Täter spielt beim Prozess – zumindest in den Zeitungen – kaum eine Rolle. Kurz wird gedacht, dass ein Neffe von Kaiser beteiligt gewesen sein könnte. Er hat jedoch ein Alibi, da er zur Tatzeit in Deutschland gearbeitet hat. Als ein wichtiges Argument wird durch den Staatsanwalt gegen den Angeklagten die Grausamkeit beider Raubmorde herangeführt:

Zitat aus „Arbeiterwille“, 18.01.1912, S. 2.

Urteilsverkündung

„Um 6 Uhr [am 19.01.1912] zogen sich die Geschwornen in das Beratungszimmer zurück. Die Beratung dauerte ziemlich lange Zeit. Die Geschworenen erschienen erst wieder um 7 Uhr im Saale.

Der Obmann der Geschworenen, Herr Georg Habel, Holzhändler in Graz, verkündet unter lautloser Stille folgendes Verdikt der Geschworenen:

1. Hauptfrage: Raubmord an dem Rauchfangkehrer Happich: 10 Ja, 2 Nein.

2. Hauptfrage: Raubmord an dem Krämer Peter Zitz: 12 Ja.

3. Hauptfrage: Raub an dem Viehhändler G. Musger: 12 Ja.

Das Verdikt der Geschworenen in der Dobler Sache erregte ungeheure Sensation.“

Aufgrund des Verdiktes der Geschworenen wirdJosef Kaiser „Zum Tode durch den Strang verurteilt.“ („Grazer Volksblatt“, 20.01.1912, S. 7.)

Fünf Monate später, am Samstag des 11. Mai 1912, wird Josef Kaiser, um 18:00 Uhr, von seiner Begnadigung in Kenntnis gesetzt. Die Strafe wird zu einer lebenslänglichen Kerkerstrafe umgewandelt. Er ist zu diesem Zeitpunkt noch immer in einer Zelle im Landesgericht inhaftiert. Kaiser erwidert nur, dass er nicht den Raubmord an Josef Happich verübt habe und fragt, wie lange er noch im Gefängnis des Landesgerichtes bleiben müsse. Vielleicht wird ihm da schon mitgeteilt, dass er demnächst in die Strafanstalt Karlau überstellt wird.

Strafanstalt Karlau, Postkarte, 09.08.1911 (Kartenproduktion), Sammlung GrazMuseum

Das „Grazer Tagblatt“ vom 13. Mai 1912 berichtet zusätzlich von Johanna Kaiser, die weiterhin in Sausal wohnt. Sie leidet mit ihren Kindern die größte Not und wird von Selbstmordgedanken geplagt. Sie ist krank und kann den Lebensunterhalt für sich und ihre Kinder nicht selbst bestreiten. Sie ist somit von der Unterstützung durch ihre Heimatgemeinde und die Mildherzigkeit ihrer Nachbarn abhängig. Ihre traurige Lage schildert sie in einem Brief an Josef Kaiser. Sie bekommt jedoch keine Antwort. Berichtet wird ebenfalls, dass auch der ältere Junge immer wieder nach seinem Vater frage und auf seine baldige Rückkehr hoffe. Kaiser wird jedoch das Gefängnis nie verlassen. Er stirbt in der Strafanstalt Karlau am 07. Februar 1924.

Josef Happich hinterlässt wiederum seine Frau Amalia, mit der er seit 26. Juni 1899 glücklich verheiratet gewesen ist. Bei seinem Tod ist sein ältestes der fünf Kinder elfJahre alt. Auch Peter Zitz hinterlässt fünf Kinder. Das älteste ist acht, das jüngste erst über ein Jahr alt. Die Kinder haben jedoch nicht nur ihren Vater zu betrauern, sondern auch die Mutter. Rosa Zitz stirbt kurz nach der Ermordung ihres Ehemannes am 30. November 1911 an einer Lungenentzündung. Seit dem Raubmord litt sie zusätzlich an Verfolgungswahn. Vielleicht fasst ein Zitat von Emil Zola die ganze Tragödie gut zusammen. Es ist als Gegengewicht zum ersten Zitat, im ersten Teil der Geschichte, gedacht:

Zola in seinem Arbeitszimmer. Porträtaufnahme zum Nachruf in der Zeitschrift Die Woche, 1902, Sammlung Wikipedia

„Das Leben ist, wie es ist. Es gibt nichts absolut Böses. Niemals ist ein Mensch für alle anderen Böse. Es gibt immer jemand, dessen Glück er bedeutet. Wenn man sich also nicht auf den Standpunkt eines einzelnen stellt, kommt man zu dem Schluss, dass jedes Wesen irgendwie von Nutzen ist. Diejenigen, die an einen Gott glauben, müssen sich sagen, wenn ihr Gott die Bösen nicht zerschmettert, käme das daher, dass er sein Werk als Ganzes sieht und nicht bis zum Einzelfall hinabsteigen kann. Die Arbeit fängt immer wieder von vorne an. Die Menschheit als Ganzes bleibt trotz allem bewundernswert in ihrem Mut und ihrem Fleiss, und die Liebe zum Leben überstrahlt alles. Die gigantische Arbeit der Menschen, ihr hartnäckiger Lebenswille ist ihre Entschuldigung, ist die Erlösung. Von sehr hoch oben sieht man nur diesen ständigen Kampf und sehr viel Gutes, so viel Böses es auch daneben gibt. Man gelangt zur allumfassenden Nachsicht, zum Verzeihen, und empfindet nur noch unendliches Mitleid und brennende Barmherzigkeit. Hier liegt zweifellos der offenkundigen Ungerechtigkeit der Welt den Sinn des Lebens zu begreifen suchen. Man lebt um der Mühsal des Lebens willen, um des Steinen willen, den man zu dem fernen, rätselhaften Werk beiträgt, und der einzige Friede, der auf dieser Welt möglich ist, liegt in der Befriedung über die vollbrachte Mühe.“ (Émile Zola: Doktor Pascal, 1970 Manesse-Verlag, S. 230.)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert