Emil Kraft (1865–1931) eröffnete im Oktober 1908 in Graz das „Englische Haus“ am Jakominiplatz. Er war zuvor u.a. in Baden und Meran wirtschaftlich und politisch tätig. Seit 1898 war er in der Murmetropole wohnhaft. Die Geschäfte schienen in dieser Zeit gut zu laufen, denn er entschloss sich mit seinen Gesellschaftern zur Vergrößerung des „Englischen Hauses“ am Jakominiplatz.
Das „Englische Haus“ wächst
Ein Jahr nach der Eröffnung des Warenhauses wurden die Erweiterungsarbeiten begonnen. Dazu wurde das Nachbarhaus von Franz Lechner (Jakominiplatz 8) gekauft. Eine Zeit lang befand sich in diesem Gebäude ein Geschäft von Heinrich Radl, der hier ein ostindisches Baumwollgewebe (= Sanas) anbot. Bereits am 05. März 1910 wurde das erweiterte Warenhaus „Englisches Haus“ für das Publikum eröffnet.
Um das Haus von seiner besten Seite zu präsentieren, wurde es geschmückt: „Zur Eröffnungsfeier war das neue Haus beflaggt und im Inneren von der Gärtnerei Luisenheim mit Blumen und Blattpflanzen reich geschmückt. Der Chef des Hauses sowie seine Gemahlin und die Gesellschafter empfingen ihre Gäste auf das freundlichste und geleiteten sie durch die weiten, lichten Räume, unermüdlich Auskünfte gebend“ (Tagespost, 06. März 1910).
Die Gärtnerei „Luisenheim“, die einst in der Wielandgasse/Friedrichsgasse nahe dem Augarten lag, war zu dieser Zeit häufig mit solchen Schmuckaufträgen betraut. Sie baute eine perfekte Blumenkulisse für den Empfang. Und natürlich wurden auch Reden geschwungen. So sprach im Namen der beteiligten Firmen Franz Mauerhofer, der sein Glas auf das Wohl des Architekten Leopold Theyer hob. Wie bereits im ersten Teil des Blogartikels erwähnt, war dieser für viele Bauten von Graz in der Zeit um die Jahrhundertwende verantwortlich.
Ein namhaftes Problem
Das „Englische Haus“ wurde nach den Warenhäusern des Inselreiches benannt. Auch das Sortiment beinhaltete englische Artikel. Emil Kraft glaubte außerdem an eine politische Entspannung in Europa durch die Annäherung des Deutschen Reiches an Großbritannien. In seinem Artikel „England und das Deutsche Reich“ (Grazer Tagblatt, 04. April 1913) ortete er gemeinsame wirtschaftliche Interessen und Feinde im Osten.
Doch nicht nur Emil Kraft war von der Strahlkraft des Inselreiches überzeugt. Auch sein Gesellschafter teilte seine positiven Überzeugungen. So wollte Josef Zahradnik (1861–1930) mit seiner Tochter Josefine Lukesch, nach seinem Ausstieg aus dem Unternehmen von Emil Kraft, ein Geschäft mit dem Namen „Old-England“ gründen. Als Standort wurde das am Hauptplatz gelegene Eckhaus Sackstraße 1 bestimmt. Der Erste Weltkrieg änderte jedoch die Pläne: Aus „Old-England“ wurde der „Habsburgerhof“ – ein ganz klares patriotisches Signal.
Emil Kraft blieb auch nichts anderes übrig als eine Namensveränderung. Nicht nur das Warenhaus am Jakominiplatz, sondern seine ganze Firma musste umbenannt werden. Seit 2. Juli 1914 hieß diese Firma „Englisches Haus Emil Kraft & Cie.“ Am 13. August 1914 konnten die Leserinnen und Leser von der Firmenänderung im Grazer Tagblatt erfahren: „Mit Rücksicht auf den Ausbruch des Weltkrieges, in welchen das verbündete Deutsche Reich nicht nur durch das hinterlistige Vorgehen Rußlands und Frankreichs, sondern auch durch von Neid und Habsucht bewegte Vorgehen des mit ihnen verbündeten England verwickelt wurde, beschloß die Modewarenfirma „Englisches Haus“ (Emil Kraft u. Comp.) von heutigen Tage an die Firmabzeichnung in „Ausstattungshaus Emil Kraft u. Comp.“ zu ändern.
Doch nicht nur der Name wurde an das politische Geschehen angepasst. Auch das Sortiment wurde in kürzester Zeit ausgetauscht. So wurde als Antwort auf „die französischen und englischen Schandtaten“ das „fremde Zeug“, „daß sich bei uns eingenistet hat zu unserem eigenen Schaden“, aussortiert (Grazer Tagblatt, 14. August 1914). Unklar ist, was mit der Leuchtreklame „Englisches Haus“ geschehen ist. Sie wurde wohl abmontiert und im Keller verstaut. Sicher ist, dass im Grazer Volksblatt vom 31. Oktober 1914 für Ausstattung für „Neueinzurückende“ geworben wurde.
Der Name „Englisches Haus“ wurde jedoch noch nicht zu einer historischen Anekdote. Vielmehr taucht er erneut nach der Beruhigung der politischen Situation wieder auf. Es dauert aber etwas mehr als 10 Jahre, bis die Kundschaft in einer klitzekleinen Anzeige im Grazer Tagblatt vom 05. Dezember 1926 vom „Englischen Haus“ lesen können.
Eine Hosenrock-Affäre
Der erste Bau war nur der Männer- und Burschenmode gewidmet. Durch die Vergrößerung des „Englischen Hauses“ wurde dieser auch mit Damenmode erweitert. Die „Damenausstattung Ges.m.b.H.“ wurde 1910 als eine eigene Firma eingetragen.
Besonders Furore machte die Damenausstattung im März 1911. Zum ersten Mal wurde in Graz ein Hosenrock (jupe-culotte) angeboten. Es war ein Originalprodukt des Hauses, das sich an dem neusten modischen Schrei aus Paris orientierte. Eine Madame Labrador sollte dabei als erste in einem Hosenrock auf der Orpheum-Bühne tanzen, so das Grazer Volksblatt vom 11. März 1911.
Zum Laufsteg wurde auch die Herrengasse. Eine Hosenrock-Trägerin hat sich jedoch die Reaktionen anders vorgestellt. In mehreren Zeitungen wird das Ereignis geschildert. Hier die Version „Der erste Hosenrock“ des Grazer Tagblattes vom 11. März 1911:
„Endlich hat das Grazer Gassenpublikum seine erste Hosenrockaufregung. Die Sitzkassierin des Kaffeeschankes „Klein-Styria“ Wilhelmine Keller hatte sich vor einigen Tagen bei der Firma Kraft u. Komp. eine jupe-culotte gekauft und versuchte gestern den ersten Spaziergang damit. Bis Mitte Murgasse war das Wagnis, dieser Angriff auf die geheiligten Traditionen gut abgelaufen. Doch dort wurde der Hosenrock erkannt und sofort hatte sich eine hundertköpfige Menge um die Trägerin angesammelt. Fortwährend den Angriffen und Spottreden des Mobs und verschiedener „Spaßmacher“ ausgesetzt, gelang es dem Fräulein, in ein Haus in der Stempfergasse zu flüchten. Die inzwischen immer größer gewordene Menge drang sogar bis in den ersten Stock des Hauses, wo sie johlte und pfiff. Als das Ersuchen, das Haus zu verlassen, nichts nützte, mußte Polizei herbeigeholt werden.
Nach einem viertelstündigen Aufenthalte verließ das Fräulein das Haus in Begleitung zweiter Herren. Kaum auf der Straße angekommen wurde die Modepionierin wieder von ohrenbetäubenden Geheul empfangen und bis zum Geschäfte der Firma Kraft verfolgt, in dem sie Schutz suchte. […]
Nachdem sich das für Graz neue Wesen mit dem Hosenrock vom englischen Hause entfernt hatte, brachte es noch einmal den Mut auf, durch die Herrengasse zu marschieren. Natürlich wuchs die Menge der Neugierigen und Ulkfreunde immer mehr an. Die Hosenrockträgerin wurde ein einigen „Kavalieren“ umringt. Der stellenlose Kellner Karl Lamberg bot ihr artig den Arm. Dann ging’s unter ungeheurem Gejohle durch die Herrengasse, über den Hauptplatz, durch die Murgasse, den Murplatz nach dem Lendkai, wo sich die Kaffeeschenke „Klein-Styria“ befindet. Derbe Scherze, Püffe und Stöße wechselten in bunter Reihenfolge. Vor dem Hause Lendkai Ecke Stigergasse gelang es dem Mädchen, in die Kaffeehalle zu gelangen. Natürlich staute sich die große Menge an der Ecke. Von innen wurde die Tür verriegelt, doch die anstürmenden Massen zertrümmerten die Scheiben. Das Mädchen begab sich in ihr Zimmer und kleidete sich um. Als jemand der Menge verkündete, daß sich die Hosenrockträgerin schon entfernt hätte, wurde im mit Johlen und Pfeifen und mit dem Rufe: „Herunter mit dem Hosenrock!“ geantwortet. Noch lange johlten und schrien die Massen und erst nach einer Stunde entfernten sie sich allmählich. Der blaue Hosenrock war im Schaufenster des englischen Hauses ausgestellt. Er schließt kurz unterhalb des Knies zu einer Hose ab.“
Das „Englische Haus“ in der Zeit des Nationalsozialismus
Am 05. September 1931 starb Emil Kraft im 67. Lebensjahr nach einer längeren Krankheit im Sanatorium der Kreuzschwestern in Geidorf. Nachrufe erschienen in unterschiedlichen Zeitungen: Einen längeren Überblick über seine politische Karriere bot die Badener Zeitung vom 09. September 1931. Das „Englische Haus“ wurde zu diesem Zeitpunkt bereits durch Kraft Kinder und andere Gesellschafter geführt.
Bereits im April des gleichen Jahres wurden medial Gerüchte durch das nationalsozialistische Wochenblatt „Der Kampf“ (04. April 1931) verbreitet, dass das „Englische Haus“ zum Verkauf steht. Der Artikel ist ganz klar antisemitisch und richtet sich v.a. gegen das Warenhaus Kastner und Öhler. Laut des Artikels sollte das „Ausdehnungsbedürfnis“ des „jüdischen Großwarenhauses“ Kastner und Öhler befriedigt werden. Lamentiert wird dabei, dass dies auf Kosten „zwar kleinerer, aber dafür selbständiger Existenzen, die ein gesundes und aufwärtsstrebendes Volk so notwendig hätte“, geschehe. Auch das „Englische Haus“ würde Opfer Ausbreitung der „jüdischen Warenhäuser“ werden.
Kastner und Öhler kaufte dabei das „Eiserne Haus“ der Brüder Lechner am Südtirolerplatz. Das „Englische Haus“ sollte wiederum durch den Geschäftsinhaber Gerngroß aus Wien gekauft werden. Im Mai wurde im gleichnamigen Wochenblatt verkündet: „Das Englische Haus nicht verkauft!“ („Der Kampf“, 30. Mai 1931) Weiters wurde veröffentlicht: „Wir nehmen diese Mitteilung mit Vergnügen zur Kenntnis, da wir es sehr bedauert hätten, wenn Graz statt eines heimischen Geschäftshauses ein jüdisches Warenhaus mehr erhalten hätte.“
Das Familienunternehmen war in dieser Zeit weniger ein Opfer als ein Profiteur der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus im März 1938. So kam die Familie durch die Arisierung an die Wäschefabrik der „Brüder Braun“ in der Heinrichgasse 3 in Wien. Diese wurde dann in die Wäschefabrik „Kraft & Co.“ umgewandelt. Auch das Kleiderhaus „Adolf & Unger“ war durch Arisierung in das Familienunternehmen einverleibt worden.
Das Kleiderhaus „Adolf & Unger“ befand sich an der Hauptstraße 60, Ecke Rochusgasse, im dritten Wienerbezirk. Am 29. Juli 1938 wurde im Neues Wiener Tagblatt Johann Büchner als kommissarischer Verwalter für das Geschäft vorgestellt. Wenige Wochen später waren schon die ersten Anzeigen zu finden, die für das Kleiderhaus Ungar warben. Als Inhaber der nun „arischen Firma“ wurden Kraft und Bodenstein angegeben. Der Kaufmann Adolf Unger, der unweit seines Geschäftes in Wien in der Rochusgasse 2 wohnte, floh vor den Nazis zuerst nach England. Von dort versuchte er, 1942 mit einem Schiff in die USA zu gelangen. Sein Schiff wurde durch ein Torpedo versenkt.
Das Ende einer Ära
In den 1950er-Jahren endete die Geschichte des Warenhauses „Englisches Hauses“. Ein Auslöser waren finanzielle Schwierigkeiten nach dem Zweiten Weltkrieg. Gründe waren der starke Umsatzrückgang nach dem Kriegsende und die zu späte Reaktion darauf. Zusätzlich mussten durch die Arisierung erworbenen Geschäfte restituiert werden. Diesbezüglich mussten sich einige der Familienmitglieder einem Volksgerichtsverfahren stellen. Dazu kam eine hohe Witwenrente, die nach dem Tod eines Teilhabers ausgezahlt werden musste. Gleichzeitig wurde das Familienunternehmen mit einer finanziellen Forderung eines Teilhabers konfrontiert, die nicht mehr zu bewältigen war. Im Februar 1952 folgte ein Ausgleichsverfahren, das das Ende des Familienunternehmens – bestehend aus mehreren Firmen – der Familie Kraft bedeutete.
Das „Englische Haus“, das Warenhaus am Jakominiplatz, wird im Dezember 1952 an das Dorotheum verkauft. Damit beginnt eine neue Ära zumindest für das Gebäude. Es dauert jedoch noch einige Jahre, bis das Haus umgebaut wird. Die für die Neugestaltung des Gebäudes verantwortlichen Architekten waren Anton Potyka und Franz Comsi. Doch nicht alle waren von dem neuen Erscheinungsbild des „Englischen Hauses“ begeistert. Vielmehr war im Februar 1970 in der „Kleinen Zeitung am Sonntag“ zu lesen: „Grazer Dorotheum: Zerstörungswerk hinter dem ‚Vorhang‘“. Der Autor zählte drei Gründe auf, die zur fehlenden Information der Öffentlichkeit führten: „1 Keine Kontrollmöglichkeit der Bürger, d.h. Verhinderung des demokratischen Entscheidungsprozesses. 2. Fehlende Information zuständiger, die Bürgerinteressen vertretender Institutionen, wie z. B. des Vereines für Heimatschutz und Heimatpflege. 3. Fehlende Einspruchmöglichkeit des Denkmalamtes, da das Gebäude nicht unter Denkmalschutz stand.“
Seit 2022 ist nun ein neues Dorotheum oder fast ein altes „Englisches Haus“ zu bestaunen. Nach den Plänen von „Hohensinn Architektur“ wurde das Haus wieder umgebaut. Das neue Haus ist zwar nicht das „Englische Haus“ von einst, es erinnert jedoch an dieses. Im Großen und Ganzen ein gelungenes Beispiel für eine Revitalisierung eines historischen Gebäudes.
Hier der Link zum Teil I.: Das „Englische Haus“: Ein Name als Programm
Literatur:
Für jene, die sich intensiver mit der Familien- und Firmengeschichte beschäftigen möchten:
Weiss, Norbert (2021): Emil Kraft und das Englische Haus. Eine Firmen- und Familiengeschichte. In: Jahrbuch des steiermärkischen Landesarchivs (4), S. 187–220.