Der falsche Baumeister. Gallmeyergasse

Gallmeyergasse, 2024, Foto Fez Brook

Es ist schon länger her, dass ich bei einem Spaziergang das Haus an der Ecke der Tyrolt- und Gallmeyergasse entdeckte. Aus irgendeinem Grund machte es mich neugierig. Vielleicht, da es schon ziemlich verlassen aussieht. Es wirkt jedenfalls interessant in einer Gegend, die sehr willkürlich zusammengewürfelt wirkt. Eine Gegend, die sich wohl im Wandel befindet. In die Nachbarschaft von Einfamilienhäusern rücken zunehmend Mehrfamilienbauten. Es sieht somit aus, als ob die Tage dieses Hauses gezählt wären. (Allerdings weiß ich nicht, ob ein Abriss geplant ist.) Gründe genug, um sich kurz der Hausgeschichte zu widmen. Als Quellen dienten Akten aus dem Stadtarchiv Graz und digitalisierte Zeitungen aus dieser Zeit.

Ein Traum vom Eigenheim
Am Anfang steht wohl den Traum von einem Eigenheim. Vielleicht beginnt so die Geschichte des Hauses in der Gallmeyergasse. Im Mai 1911 stellt jedenfalls der Schneidermeister Robert Wolfgruber einen Bauantrag bei der „löbl. Gemeindevorstehung Eggenberg“ auf die Errichtung eines einstöckigen Familienhauses. Zu dieser Zeit ist er in der Elisabethinergasse 28 wohnhaft. Aus den Akten des Stadtarchivs geht noch hervor, dass er mit einer Maria verheiratet ist.

In den Zeitungen dieser Zeit ist ebenfalls ein Kleidermacher mit dem Namen Robert Wolfgruber zu finden. Dieser meldet 1902 ein „handwerksmäßiges Gewerbe“ (Grazer Tagblatt, 30.11.1902) in der Elisabethinergasse 26 an. In einem Adressbuch von 1912 ist er noch unter dieser Adresse in der Rubrik „Kleidermacher für Herren“ zu finden. Hier hat er also vielleicht seine Werkstätte oder seinen Laden, die bzw. der sich in der unmittelbaren Nähe seiner Wohnung befindet. Auch etwas zu einer Maria ist in den Zeitungen zu finden. So heiratet ein Kleidermacher Robert Wolfgruber die Köchin Maria Lep. Sie beide werden in der Pfarrkirche St. Andrä getraut (Grazer Volksblatt, 21.06.1898). Ein Jahr später wird in der gleichen Pfarre einem Kleidermacher Wolfgruber ein Sohn geboren, der Rudolf genannt wird (Grazer Volksblatt, 20. April 1899). Handelt sich bei dem Ehepaar Wolfgruber um die gleichen Personen, die sich das Haus in Eggenberg bauen? Ich vermute schon.

Wolfgrubers wählen als Standort für ihr neues Domizil die Nachbarschaft zur Brauerei Reinighaus. Die genaue Adresse ist Teichstraße 93, wobei der Name sich wohl auf die Brauerei-Teiche bezieht. Nicht weit von ihrem Familienhaus entsteht die Häuserkolonie der Gemeinnützigen Bau- und Wohnungsgenossenschaft. Sie wird von dem Wiener Architekten Johann Horsky zwischen 1911/1912 errichtet. In der ersten Bauphase entstehen 207 Wohnungen für 920 Personen. Dieser Bau verdeutlicht die Bevölkerungszunahme von Eggenberg in dieser Zeit.

Marktgemeinde Eggenberg
Eggenberg ist da noch eine selbständige Gemeinde. Sie besteht aus den Orten Baierdorf, Algersdorf und bis 1914 Wetzelsdorf, sowie den Ortschaften/Weilern Plabutsch und Krottendorf. Am 16. Dezember 1906 gibt es im Gemeindeamt zusätzlich einen Grund zum Feiern: Eggenberg wurde bereits am 11. Mai – die Party kommt also etwas verspätet zum Stande – vom Kaiser zu einem Markt erhoben.

Eggenberg, ca. 1895 – 1905 (geschätzt), Sammlung GrazMuseum

In seiner Festrede skizziert (der noch) Gemeinderat Franz Steiner die Entwicklung von Eggenberg bis 1906:

„Die bedeutende bauliche Entwicklung der Gemeinde Eggenberg veranschaulichen am besten folgende Ziffern. Im Jahre 1822 hatte Eggenberg 257 Häuser mit 1063 Einwohnern, im Jahre 1890 457 Häuser mit 6880 Einwohnern, im Jahre 1900 603 Häuser mit 10.000 Einwohnern und heute [1906] besitzt Eggenberg 742 Häuser mit insgesamt 12.000 bis 13.000 Einwohnern. Unter den Neubauten befinden sich industrielle Unternehmungen, drei große Sanatorien und das große Haus der Schulschwestern. Ein weiterer Fortschritt in der Entwicklung der Gemeinde wurde erzielt durch die Schaffung von Kommunikationslinien, vielen Straßenzüge und eines Verbauungsplanes unter Eckert [Albert, Bürgermeister zwischen 1892–1900 und 1909–1910]. Sechzig Gassen, Straßen und Plätze wurden eröffnet. Im Jahre 1897 wurde die Gasbeleuchtung eingeführt, im Jahre 1902 die elektrische Kleinbahn gebaut [die erste Linie bereits 1900 eröffnet], die Eggenberg mit der steirischen Metropole verbindet. Das Schulwesen entwickelt sich ebenfalls höchst günstig. Und Hand in Hand mit der allseitigen Entwicklung ging die der Gemeindeverwaltung. 1880 benötigte Eggenberg nur 12 Ausschüsse, einen Beamten und zwei Wachleute, heute fungieren 30 Ausschüsse, amtieren sechs Beamte und acht Wachleute.“ (Grazer Volksblatt, 17. Dezember 1906)

Zur Zeit des Hausbaus ist somit Eggenberg eine florierende Gemeinde. Bestens mit Graz verbunden und ohnehin nicht weit von der Landeshauptstadt entfernt. Der Bürgermeister ist 1911 der ehemalige Gemeinderat Franz Steiner (1869–1960). Er ist ein Bäckermeister und Besitzer der „Brotfabrik Steiner“. Das Amt des Bürgermeisters hat er in den Jahren 1910 bis 1912 und nochmals von 1915 bis 1918 inne. Zwischenzeitlich ist ebenfalls Gustav Dolenz der Bürgermeister. Sowohl Steiner als Bürgermeister sowie Dolenz werden in den Bauakten genannt. Dolenz wird mit Ludwig Binder und Florian Troger als Vertreter der Gemeinde zur Besichtigung der Baustelle (Endrevision) geladen.

Ehemaliger Standort der Brotfabrik Steiner, Eggenbeger Allee, 2024, Foto Fez Brook

Vielleicht nicht die besten Baupartner
Für ihr Wohnprojekt wählt die Familie Wolfgruber den Stadtbaumeister Peter Neyer, der mit dem Bauunternehmer Heinrich Schmidt arbeitet. Ein Jahr später sorgen beide für negative Schlagzeilen. Ausgang für diese ist ein Bauunglück in der Prangelgasse in Eggenberg im Februar 1912. Dabei werden zehn Arbeiter verletzt, als ein Baugerüst einstürzt. Neben drei Rettungswagen kommen die Ärzte der Rettungsabteilung „in Fiakern und Automobilen zur Unfallstelle“ (Arbeiterwille, 13.02.1912).

Eggenberg, Teichstraße, Planbeilage aus dem Grazer Adressbuch des Jahres 1912, Sammlung GrazMuseum

In der sozialdemokratischen Zeitung „Arbeiterwille“ wird v. a. die Ausbeutung der Arbeiter betont, die gegen miserable Arbeitsbedingungen nicht aufbegehren können. Im Hinblick auf den Unfall wird v. a. auf die schlechten und unzureichenden Materialien hingewiesen, wodurch die Errichtung eines sicheren Baugerüstes nicht möglich gewesen wäre. In der darauffolgenden Ausgabe des Arbeiterwillens wird aber auch eine „Berichtigung“ publiziert, die die Sichtweise von Peter Neyer und Heinrich Schmidt wiedergibt. Ihre Sichtweise wird auch durch die Unterschriften der Arbeiter beglaubigt, die versichern, dass die Arbeitsbedingungen bei Neyer und Schmidt optimal wären und sie genügend Material gehabt hätten. Die Schuld würde der Baustellenpolierer tragen, der das Tragen eines Baustücks – einer 500kg schweren Platte für die Stiege – über das Baugerüst von ihnen geforderte hätte, statt diese mit einem Flaschenzug hochziehen zu lassen.

Der Arbeiterwille glaubt dieser Version nicht. Vielmehr „erlauben wir uns, schon jetzt zu behaupten, daß die Unterschriften der Arbeiter zur Berichtigung unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse erfolgt sind. Kein einziger Mensch wird daran zweifeln, da ja die Verweigerung der Unterschrift gleichbedeutend mit der Entlassung des Arbeiters in einem solchen Falle wäre“ (Arbeiterwille, 21.02.1912). Am 25.02.1912 legt der Arbeiterwille nach. Die interessierte Leserschaft erfährt, dass die Unterzeichneten der Berichtigung nicht über den Inhalt informiert wurden und auf sie ebenfalls Druck, wie bereits zuvor vermutet, ausgeübt wurde.

Juristisch endete die Affäre mit einem Urteil: Der Polierer wurde zu drei Tagen strengen Arrest verurteilt. Peter Neyer und Heinrich Schmidt – in jedem Artikel anders geschrieben: Schmied, Schmidt und im Grazer Volksblatt heißt er Ludwig – werden zur Geldstrafen oder Haftstrafen bei Nichtzahlung verurteilt. Außerdem mussten die beiden Angeklagten Schmerzensgeld und Verdienstentgang den Arbeitern zahlen (Grazer Volksblatt, 12.12.1912).

Ehemals als „Rathauspark“ bezeichneter Park, im Hintergrund das ehemalige Gemeindeamt, 2024, Foto Fez Brook

Bereits im Februar wurden vom Bürgermeister Gustav Dolenz „die Einstellung der Arbeit auf den anschließenden Bauten des Baumeisters Neyer verfügt“ (Arbeiterwille, 14.02.1912).

Rückschläge beim Bau

Gallmeyergasse, 2024, Foto Fez Brook

Auf der Baustelle der Familie Wolfgruber wird ebenfalls sehr schlampig gearbeitet. Aus den Bauakten gehen die durch das Bauamt geforderten Korrekturen hervor, da beim Bau nicht alle Bestimmungen eingehalten wurden. So wird in einem Schriftstück vom 02. August 1911 festgehalten, dass „eine Reihe von Übelständen festgestellt [wurde], die eine eminente Unfallgefahr beinhalten.“ Damit wird „die weitere Bauführung bis zur vollständigen Durchführung der nachstehenden Vorschreibungen untersagt.“ Adressiert ist es an Peter Neyer, Lendplatz 12. Ähnlich wie beim Bauunfall vom Februar 1912 sind Fehler bei dem Baugerüst festgestellt worden. So „sind beim Langtennengerüst die Querriegel mit einem sicheren Auflager zu versehen und müssen die Langtennen vom Erdboden bis zum obersten Geschosse mit Stützpfosten ausgestattet sein.“ Außerdem „sind die Laufbrücken an der Innenseite mit Brustwehren und Fussleisten abzuschliessen.“ Einige Tage später wird die Baustelle kontrolliert und es wird festgestellt, dass „beim Neubau keinerlei Arbeiten vorgenommen werden.“ Am 24. August wird dann schließlich die Aufhebung des Bauverbots beantragt, da Neyer allen Forderungen nachgekommen ist.

Es folgen jedoch weitere Rückschläge beim Bau. So wird „der Bewohnungs- und Benützungskonsens“ erst im Dezember 1911 erteilt, obwohl die Familie wohl bereits im November einzuziehen plant. Doch auch im Dezember wird einiges festgestellt, was nicht ordnungsgemäß ist. So ist Feuchtigkeit in der Dachgeschosswohnung, die jedoch auf das Waschen in der Wohnung zurückgeführt wird, wie der Gemeindearzt Dr. Engelbert Busbach berichtet.

Am Ende kann sich die Familie über ein Haus mit einem Keller und zwei Wohnetagen freuen. Das Dachgeschoss dient wohl dabei als eine separate Wohnung. Die Freude scheint sich jedoch nicht wirklich bei der Familie eingestellt zu haben. Im August 1914 wird das Haus nämlich weiterverkauft. Über die Gründe kann nur gemutmaßt werden.

Gallmeyergasse, 2024, Foto Fez Brook

2 Kommentare zu “Der falsche Baumeister. Gallmeyergasse”

  1. Mein Sohn wohnt in der Gallmeyergasse 29, und hat mir den Link weitergeschickt. Ganz spannende Geschichte, in die viel Arbeit investiert wurde. Ein Glück, dass es den Bauakt noch gab, weiß ich aus Erfahrung. Wie wäre es, wenn Sie eine Kurzfassung, ev. mit einem Link, in unserer Homepage http://www.grazerbe.at einstellen? Dazu müssten Sie sich nur beim Administrator, Martin Brunner, anmelden. Ich kann das aber natürlich auch selbst erledigen, von mir sind ja die meisten Eintragungen.
    Auf jeden Fall möchte ich mit Ihnen Kontakt halten, und Ihre Adresse in meinen Mail-Verteiler setzen, wenn das für Sie ok ist.
    Schöne Grüße

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